Aspekte des neuen Rechtsradikalismus: Ein Vortrag

Archiv Deutschlandfunk 09.02.2019

 

Theodor W. Adorno„Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“

Nicht nur in Deutschland gibt es eine Renaissance rechtsradikaler Bewegungen, sondern in ganz Europa. Das erklärt vielleicht den überraschenden Erfolg von Theodor W. Adornos historischem Vortrag über den Rechtsradikalismus, der erstaunliche Parallelen zu gegenwärtigen Entwicklungen aufweist.

Von Raphael Smarzoch | 02.09.2019
Es sei der unbewusste Wunsch nach Unheil, nach Katastrophe, der den Antriebsmotor des Rechtsradikalismus ausmache, konstatiert Adorno. Ein Blick auf die heutige mediale Instrumentalisierung der Flüchtlingsbewegung durch rechtsextreme Protagonisten bestätigt diese Beobachtung. Von Parasiten ist da die Rede oder einem Genozid an den Deutschen. Die AfD spricht von einer Umvolkung, während die Identitäre Bewegung vor dem „großen Austausch“ warnt. Dass diese imaginierten Schreckensszenarien jeglicher Realität entbehren, spielt keine Rolle. Die Substanz rechtsradikaler Politik, so Adorno, sei die Propaganda selbst.
„Diese Propaganda gilt weniger der Verbreitung einer Ideologie, die viel zu dünn ist, als dem, daß Massen eingespannt werden.“
Bemerkenswert ist, dass sich die Strategien des Einspannens über die Jahre hinweg nicht verändert haben. Fake News, die heutzutage den politischen Diskurs dominieren und gravierenden Schaden anrichten können, hat es schon immer gegeben. Neu ist lediglich die blitzschnelle und einfache digitale Distribution von Falschmeldungen und Erkenntnissen, die sich nicht in Kürze überprüfen und daher als unwahr enttarnen lassen. Besonders Letzteres sei aber eine essentielle Strategie im Repertoire rechtsextremer Demagogie.
Die Grenzen des Sagbaren
„Es wird mit Kenntnissen geprotzt, die sich schwer kontrollieren lassen, die aber eben um ihrer Unkontrollierbarkeit willen dem, der sie vorbringt, eine besondere Art von Autorität verleihen.“
Charakteristisch für rechtsextreme Agitation sind auch Formulierungen, die juristische Lücken ausnutzen, um radikales Gedankengut gesetzeskonform darzustellen. Antisemitische Anliegen können dadurch etwa geschickt getarnt werden, schreibt Adorno.
Darüber hinaus zählt zu diesem Komplex, die Grenzen des Sagbaren auszuloten. Der virtuose Einsatz von Anspielungen und Doppeldeutigkeiten ist keine Unbekannte im rechtsextremen Jargon. Man denke nur an Björn Höckes „Denkmal der Schande“. Und auch die im Nachhinein bewusste Distanzierung von dem Gesagten und ihre Relativierung sind Teil des rechten Spiels:
„Man kann sagen, daß alle ideologischen Äußerungen des Rechtsradikalismus gekennzeichnet sind durch einen permanenten Konflikt zwischen dem Nicht-sagen-Dürfen und dem, was, wie ein Agitator neulich es nannte, die Zuhörerschaft zum Sieden bringen soll.“
Die Wundmale einer verunglückten Demokratie
Die Gründe für das Wiedererstarken faschistischer Bewegungen sind vielfältig. Adorno bezeichnete sie damals als Wundmale einer verunglückten Demokratie, in der die Versprechen von ökonomischer Prosperität und Gleichheit nicht in Erfüllung gegangen sind. Kapitalismus und technologischer Fortschritt vermittelten vielen Menschen das Gefühl, abgehängt worden zu sein. Ein Gefühl, das durch die omnipräsente Digitalisierung und prekäre Arbeitsverhältnisse auch heute vorherrscht.
„Diese Gruppen […] verschieben […] die Schuld ihrer eigenen potentiellen Deklassierung nicht etwa auf die Apparatur, die das bewirkt, sondern auf diejenigen, die dem System, in dem sie einmal Status besessen haben, […] kritisch gegenübergestanden haben.“
Diese Passage auf den heutigen Verfall der SPD zu übertragen, scheint verlockend. Auch Adornos Überlegungen zum antagonistischen Charakter des neuen Nationalismus‘ sind von aktueller Natur. Trotz des Bedeutungsverlustes einzelner Nationen durch ihre „Integration in große Machtblöcke“ beobachtet der Philosoph eine Renaissance nationalistischer Souveränitätsansprüche. Assoziationen an Brexit-Britannien und andere Länder, die den Sinn der EU zunehmend anzweifeln, sind nicht von der Hand zu weisen.
Nicht moralisieren
Bleibt am Ende noch die Frage, wie man sich den Rechten widersetzen kann. Auf keinen Fall moralisieren, meint Adorno. Erstrebenswert ist es, Haltungen und Ideen zu vermeiden, die heutzutage von Rechtsextremen unter dem abwertenden Begriff des Gutenmenschentums subsumiert werden. Anders ausgedrückt: Es gilt nicht, den Humanismus gegen den Rechtsradikalismus in Stellung zu bringen,
„denn das Wort Humanität selber und alles, was damit zusammenhängt, bringt ja die Menschen, um die es sich handelt, zum Weißglühen.“
Vor diesem Hintergrund ist der Hypermoralismus, wie er in den sozialen Medien in der Auseinandersetzung mit der AfD und Vertretern rechtsradikalen Denkens virulent ist, eine Sackgasse. Stattdessen müssen „potentielle Anhänger des Rechtsradikalismus“, Menschen, die auf der Schwelle zur Radikalisierung stehen, vor den Konsequenzen ihrer politischen Weltanschauung gewarnt werden. Es obliegt der Gesellschaft und ihren Bildungseinrichtungen zu vermitteln,
„daß diese Politik auch seine (sic) eigenen Anhänger unweigerlich ins Unheil führt und daß dieses Unheil von vornherein mitgedacht worden ist.“
Heutige Kampagnen, Menschen auszuschließen, die rechtem Gedankengut anheimgefallen sind, würde Adorno vermutlich nicht gutheißen. Auch das ist eine Lehre dieses Vortrags: Nur durch unermüdlichen Dialog wird es möglich sein, zukünftiges Unheil abzuwenden.
Theodor W. Adorno: „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus. Ein Vortrag“,
Suhrkamp, 86 Seiten, 10 Euro.